Bericht aus dem Schweizer Optiker (12.2023):


Dr. Martin Lörtscher über die Vorteile von Myopie-Management mit Orthokeratologie (OK):

Bei der Myopiekontrolle ist das Ziel aktiv das progrediente Augenlängswachstum zu verlangsamen. Um eine Kontrollintervention vorzuschlagen, braucht es Daten und Beweise die aufzeigen, dass die erhoffte Wirkung auch sehr wahrscheinlich eintritt. Diese Evidenz wird durch kontrollierte Studien erbracht. Hier liegt einer der grossen Vorteile der Orthokeratologie. Die Evidenz und die Grösse der Datenlage zeigen eindeutig, dass sich Orthokeratologie positive und bremsend auf die Myopie auswirkt. Denken Sie daran, dass bereits 2005 die erste OK-Studie  von Pauline Cho (Cho, Cheung et al. 2005) publiziert wurde, welche aufgezeigt hat, dass die Augenlänge weniger schnell wächst bei OK-Trägern im Vergleich zu Brillenträgern. Seit dieser Zeit sind die Studien mit Orthokeratologie und die Auswirkung auf die Augenlänge mehrmals in verschieden Population und verschiedenen Regionen der Erde aufgezeigt worden (Cho, Cheung et al. 2005, Santodomingo-Rubido, Villa-Collar et al. 2012, Charm and Cho 2013, Loertscher, Backhouse et al. 2021, Pauné, Fonts et al. 2021). Weil jedoch der Wirkmechanismus noch ziemlich unbekannt ist und es nur Hypothesen gibt (Lipson, Brooks et al. 2018), ist für mich klar, nur OK- Typen (Marken) zu verwenden, welche auch auf die Wirksamkeit getestet wurden. Damit fülle ich mich sicher ein Produkt abzugeben, bei dem die Wirksamkeit dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Wie die Grafik 1 aufzeigt, gibt es zwischen den Orthokeratologie-Typen auch Differenzen in der Wirksamkeit.












Grafik 1: Unterschied in der Verlangsamung der Augenlänge zwischen einer herkömmlichen OK und der speziell für Kinder entwickelten FOK MC. Aus der Publikation von Loertscher, Backhouse et al. 2021


Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil der Orthokeratologie ist, dass man während des Tages brillenlos ist. Gerade in der Jahreszeit wie jetzt aktuell mit viel Regen und Wind, ist dies eine sehr angenehme Nebenerscheinung. Diesen positiven Nebeneffekt lässt sich sehr gut verkaufen und dieser Vorteil spricht sich herum. Das wiederum ist eine tolle Werbung für eine Optometrie-Praxis, aber auch um die OK-Tragemodalität bekannt zu machen, sowie auch die Möglichkeit des Myopie-Managements.
Als Nachteil der Orthokeratologie könnte man die Kontaktlinsen-Anpassung bei Kindern bezeichnen. Dies ist aber ein relativer Nachteil. Wenn gewohnt ist mit Kindern zu arbeiten, macht es Spass und ist nicht schwieriger als mit Erwachsen.
Als Fazit finde ich Orthokeratologie eine elegante Lösung. Sei es für das Myopie-Management oder schlicht als Korrektionsmittel der Fehlsichtigkeit. Der Wunsch vieler Personen ist es tagsüber kein Korrektionsmittel tragen zu müssen, das können Sie Ihren Patientinnen und Patienten mit der Orthokeratologie ermöglichen.



Andreas Tsiounis über die Vorteile von Myopie-Management mit spezifischen Kontaktlinsen und Gläser:

Die Kontrolle des abnormalen Augenwachstums bei Kindern und Jugendlichen sollte in jeder Optometrie-Praxis einen grossen Stellenwert einnehmen. Es gibt genügend Evidenz (Huang, Wen et al. 2016), das optische Methoden zur Verlangsamung der Myopiezunahme eine bedeutende Wirkung haben. Augenspezialistinnen und -spezialisten stehen nebst pharmakologischen Therapien ebenfalls etablierte optischen Methoden in Form von Brillengläsern oder Kontaktlinsen (Orthokeratologie, sowie weiche bzw. harte Kontaktlinsen mit verschiedenen peripheren Polynomprogressionszonen) zur Verfügung. In diesem Kurztext zeige ich Ihnen meine aktuellsten Datenauswertungen der Relax-Kontaktlinsen (SwissLens) und Myoslow-Gläser (Visall) auf. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich ebenfalls sehr gute Erfahrungen mit den MiSight®-Kontaktlinsen (Cooper Vision), Miyosmart®-Gläser (Hoya) und Stellest®-Gläser (Essilor) sammeln durfte.

Eine Unbekannte ist das Wirkungsprinzip der optischen Methoden. Weshalb die Veränderung des optischen Inputs das Wachstum des Auges verlangsamt, ist nicht geklärt. Es gibt die Hypothese, dass der optische Input auf die Netzhautperipherie die Hauptrolle zur Regulierung der Augenlänge innehat (Smith III, Arumugam et al. 2020). Es wird häufig postuliert, dass eine hyperope Refraktion in der Peripherie das Wachstum des Auges anregt und dass eine Myopie in der Peripherie das Wachstum des Auges verlangsamt (Rempt, Hoogerheide et al. 1971). Dabei muss aber klargestellt werden, dass man immer von einer relativen Hyperopie bzw. Myopie zum zentralen Brechwert spricht. Dies bedeutet, dass bei einer Myopie die Peripherie in absoluten Werten auch immer noch kurzsichtig ist (Atchison, Pritchard et al. 2006). Erst wenn zentral der Brechwertfehler normalisiert wird und die Bildschale auf die Netzhaut verschoben wird und damit der zentrale Brechwert ausgeglichen ist, entsteht eine relative Hyperopie in der Peripherie. Ob dies tatsächlich der Hauptgrund ist, weshalb die optischen Methoden durch Veränderung der peripheren Optik eine Wirkung haben, muss bis zum Beweis angezweifelt werden.
Die optischen Kontaktlinsenmethoden haben eine Gemeinsamkeit: Die Optik ist mit einer zentralen Fernzone zur Korrektur des Refraktionsfehlers aufgebaut. Anschliessend zu dieser zentralen Fernzone kommt eine Zone mit einer positiven Brechwertänderung (Kim, Bakaraju et al. 2017). Die Zunahme der Dioptrien liegt im Vergleich zum Zentrum im Allgemeinen zwischen 1.50 bis 2.50 dpt mehr Plus. Dieser Plus-Bereich kann als eine asphärische Fläche gestaltet sein oder alternierend als Ringsegment, abwechseln mit dem Fernbrechwert.

Vor über zwölf Jahren versorgten wir die ersten jungen Patientinnen und Patienten mit der von uns und der Firma SwissLens AG (Prilly, Schweiz) entwickelten Relax-Kontaktlinsen. Dieser Kontaktlinsentyp zeichnet sich durch seine (fast) unbegrenzte Parametervielfalt (sphärisch, torisch, optische Zone, individuell gefertigt) und auch dadurch aus, dass diese Kontaktlinsen ebenfalls in Silikonhydrogel gefertigt werden.
Da einige Eltern zurückhaltend bei der Versorgung von ihren Kindern mit Kontaktlinsen sind, fingen wir vor über acht Jahren mit der Versorgung mit Bifokal- und Gleitsichtgläsern an. Schnell zeigte sich, dass «klassische Gleitsichtgläser für die Versorgung von Presbyopen» nicht die gewünschte Wirkung aufzeigen. Mit diversen Parameteranpassungen wurde das Myoslow®-Glaskonzept mit der Firma Visall GmbH (Lörrach, Deutschland) entwickelt, welches auf alle Sehdistanzen stärkenoptimiert ist. Dadurch profitieren die jungen Patientinnen und Patienten von einem entspannten Sehen, welches sich auch positiv auf die Myopieprogression auswirken kann.

Die Stärken der Versorgung von jungen myopen Patientinnen und Patienten mit Relax-Kontaktlinsen und Myoslow®-Gläser liegen in der Individualisierung. Anhand der DOPING©-Anamnese und des Myoslow®-Preference Tests, welche beide von visionscience.ch entwickelt wurden und an den Lehrgängen für Myopie-Management der Firma Visall GmbH unterrichtet werden, werden die Parameter, so gut wie möglich, an den Sehbedürfnissen angepasst.


 














Myoslow® Preference Test der Firma Visall GmbH



In der Grafik «Myopiezunahme der weichen RELAX-Kontaktlinsen bzw. Myoslow-Gläser (mit berechneter Prognose) versus Kontrollgruppe» wird die Myopiezunahme der weichen RELAX-Kontaktlinsen (Grün) mit den Myoslow®-Gläser (Rot) und der Kontrollgruppe (Violett) auf 48 Monate verglichen. Bei Betrachtung dieser Datenauswertung darf von der Annahme ausgegangen werden, dass die sichtbare Diskrepanz zwischen den weichen RELAX-Kontaktlinsen (und Myoslow®-Gläser) und der Kontrollgruppe klar vorhanden sein sollte.





















Der Hauptgrund, warum ich gerne im Bereich Myopie-Management mit spezifischen Kontaktlinsen (Relax, MiSight®, …) und Brillengläser (Myoslow®, Miyosmart®, Stellest®, …) arbeite, liegt primär darin, dass die Handhabung für meine jüngeren Patientinnen und Patienten sehr einfach ist und dass sie zwischen diesen zwei Versorgungen hin- und herwechseln können. Bitte beachten Sie, dass es sich bei diesen Versorgungen nicht um ein «Myopiezunahme-Stopp» handelt, sondern um eine optimierte optische Versorgung mit gezielter Verlangsamung der Myopieprogression.



Atchison, D. A., N. Pritchard and K. L. Schmid (2006). "Peripheral refraction along the horizontal and vertical visual fields in myopia." Vision Res 46(8-9): 1450-1458.
Charm, J. and P. Cho (2013). "High myopia-partial reduction ortho-k: a 2-year randomized study." Optom Vis Sci 90(6): 530-539.
Cho, P., S. W. Cheung and M. Edwards (2005). "The longitudinal orthokeratology research in children (LORIC) in Hong Kong: a pilot study on refractive changes and myopic control." Curr Eye Res 30(1): 71-80.
Huang, J., D. Wen, Q. Wang, C. McAlinden, I. Flitcroft, H. Chen, S. M. Saw, H. Chen, F. Bao, Y. Zhao, L. Hu, X. Li, R. Gao, W. Lu, Y. Du, Z. Jinag, A. Yu, H. Lian, Q. Jiang, Y. Yu and J. Qu (2016). "Efficacy Comparison of 16 Interventions for Myopia Control in Children: A Network Meta-analysis." Ophthalmology 123(4): 697-708.
Kim, E., R. C. Bakaraju and K. Ehrmann (2017). "Power Profiles of Commercial Multifocal Soft Contact Lenses." Optom Vis Sci 94(2): 183-196.
Lipson, M. J., M. M. Brooks and B. H. Koffler (2018). "The Role of Orthokeratology in Myopia Control: A Review." Eye Contact Lens 44(4): 224-230.
Loertscher, M., S. Backhouse and J. R. Phillips (2021). "Multifocal Orthokeratology versus Conventional Orthokeratology for Myopia Control: A Paired-Eye Study." Journal of Clinical Medicine 10(3): 447.
Pauné, J., S. Fonts, L. Rodríguez and A. Queirós (2021). "The Role of Back Optic Zone Diameter in Myopia Control with Orthokeratology Lenses." Journal of Clinical Medicine 10(2): 336.
Rempt, F., J. Hoogerheide and W. P. Hoogenboom (1971). "Peripheral retinoscopy and the skiagram." Ophthalmologica 162(1): 1-10.
Santodomingo-Rubido, J., C. Villa-Collar, B. Gilmartin and R. Gutierrez-Ortega (2012). "Myopia control with orthokeratology contact lenses in Spain: refractive and biometric changes." Invest Ophthalmol Vis Sci 53(8): 5060-5065.
Smith Iii, E. L., B. Arumugam, L.-F. Hung, Z. She, K. Beach and P. Sankaridurg (2020). "Eccentricity-dependent effects of simultaneous competing defocus on emmetropization in infant rhesus monkeys." Vision Research 177: 32-40.